milori Einführung Nora Chrosziewski und Inga Müller, Das Atelier, 4.5.2007. Am Ende einer nicht sonderlich aufregenden Kunstdekade mit dominanter Figurenmalerei, in der Bilder, die expressiv, schnell und bunt gemalt sind, fast automatisch als authentisch, existenziell und schon deshalb als Kunst gelten und bei denen angesichts der intendierten formalen Nähe zur Fotographie die lrritation der Wahmehmung oftmals einziger Inhalt bleibt, stimmt mich diese Doppelaussteliung heute ausgesprochen hoffnungsvoll, liefern doch die beiden hier vertretenen Positionen innovative Ansätze zu einer neu ausgerichteten malerischen Standortbestimmung. Die beiden, in Karlsruhe studierten Künstlerinnen reflektieren auf jeweils eigene Weise die Grundbedingungen von Malerei, also die Mittel, die zum Bild führen und die einem Bild wesentlich sind. Auch lnga Müller - das mag auf den ersten Blick veıwundern - ist durch und durch Malerin, ihre Pigmentobjekte werden getragen von den Grundwerten der Malerei: dem Licht, der Farbe, dem Werkprozess. Sie formt aus reinem Pigmentstaub leuchtende, leicht trapezförmige Kuben und runde Kegel von fragilem pudrigen Charakter, türmt diese zu mehrfarbigen Stelen auf, entfaltet sie als kleine Farbgruppe oder reiht sie seriell zu freien Farbverläufen. Es gibt keine Erzählung und keine Erklärung - im Material liegt bereits die Botschaft, so dass man ihre Arbeiten primär aus der immanenten Realität des Kunstwerke, eben aus Grundstoff, Textur und farbiger Erscheinung begreifen muss. Praktiken, Kategorien und Grundlagen der Malerei werden von Inga Müller gleichsam nackt einer langfristigen, noch andauernden Bestandsaufnahme unterzogen, die selbst Werkcharakter annimmt, um möglichst objektive Aussagen über Malerei treffen zu können. Untersuchte sie zunächst Format, Malgrund und Farbauftrag, also die Bedingungen, die der Malerei von Werkzeug und Bildträger gesetzt werden, indem sie mit verschiedenen Leinwandarten, Harzgrundierungen oder Stapelungen bemalten Tafeln experimentierte, ist der Fokus heute allein auf die Farbe und ihre spezifische Materialität gelenkt. Folglich muss ein Kunstwerk, das zeigen soll, was Farbe im Letzten ist, frei von allem sein, was nicht direkt mit dieser Ursubstanz zusammenhängt, und so hat lnga Müller nur folgerichtig alle traditionell dazwischen geschalteten Arbeitsgeräte und Hilfsmittel wie Pinsel, Leinwand oder Binder ausgeschlossen. Damit findet sie gleichzeitig zu einem neuen, ungewöhnlichen individuellen Werkbegriff, der irgendwo zwischen klassischem Gemälde, farbiger Skulptur und malerischem Objekt einen unbekannten, dabei flüchtigen Bildraum eröffnet. ln diesen neuen Farbraumkörpern ist Farbe ohne Darstellung und malende Hand bereits das Bild; die künstlerische Handlung zielt nicht länger auf das abgeschlossene ewige Kunstwerk, sondern auf ein temporäres Zwischenergebnis innerhalb der malerischen Versuchsanordnung. Um ein Höchstmaß an visueller und emotionaler Wirkungskraft der Pigmente zu erzielen, hat sich Inga Mütter drei wesentliche Bedingungen gesetzt: Es kommen ausschließlich klare ungemischte Farbtöne, also reine ungebundene Farbpigmente wie Kadmium, Schiefergrau, Zinnober oder milori-Blau zur Anwendung, die Körper der Objekte sind durch die Gussformen weitgehend standardisiert, also auf die Stereometrie des Quaders beschränkt, und sie enthält sich weiterführender künstlerischer Eingriffe, denn die graphischen Muster der Oberflächen entstehen spontan im Trocknungsprozess durch Abdrücke der eingelegten Folien. lhre Arbeitsweise wird damit von tiefem Vertrauen in die ästhetischen Qualitäten ihres Materials und großem Wissen um die ihm gemäßen Mittel geprägt, das heißt: die Künstlerin vertraut einerseits auf die wirkungsmächtige Prägnanz der nicht manipulierten Farberscheinung, andererseits steigert sie deren natürliche Aura durch die rigorose formale Beschränkung der Objektgestalt und lässt zufällige Spuren der Herstellung zu. Gerade die Zeichnung der Oberflächen mit ihren Linien, Kerben, Zerklüftungen und Faltenwürfen, die gleichsam eine entfremdete naturnahe Topographie zeigen, relativiert mit schöner Selbstverständlichkeit das alte Problem der Formfindung, das Farbmaterial erst noch durch Gestaltung zu nobilitieren. Inga Müller strebt schlicht eine Malerei an, die alles hinter sich lässt, was die Alleinherrschaft der Farbe und die geheimnisvolle Sphäre der Farbkörper gefährden und sich zwischen den Betrachter und ihre reine Erscheinung stellen könnte. Sie sind Ausdruck einer radikalen Konzentration auf diesen Urstoff, der
als „gebaute Farbe im Licht“ zu eindringlicher Leuchtkraft entfaltet wird, die er auf Leinwand gebracht und dort vermalt nicht mehr entwickeln könnte. Die Entscheidung Nora Chrosziewski und lnga Müller für das jeweilige Konzept malerischer Stringenz und Einfachheit leugnet keinesfalls individualität oder Gestaltungswillen, diszipliniert sie aber. ln ihrem Bemühen, Kategorien zu formulieren, unter denen sich das Farbmaterial konstituieren kann, gerinnt Subjektivität ganz beiläufig zur Form. Beider Arbeiten verzichten auf ein lautes Bildgeschehen und setzen stattdessen vollständig auf das Geschehen zwischen Bildwerk und Betrachter. Jens Martin Neumann |
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